Die Wirtschaft und Ich –
Ökonomische Bildung als Voraussetzung für die Partizipation in einer demokratischen Gesellschaft
von Ann-Kristin Becker und Ina Sieberichs,
Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln (iwp)
Täglich finden im Bundestag Debatten über die richtige Art der Besteuerung, den Schutz von Arbeitnehmer*innen, Subventionen zur Förderung der Wirtschaft und viele weitere ökonomische Themen statt. Besonders in der Zeit vor der nächsten Bundestagswahl 2025 ist die Medienpräsenz hoch und die Zukunftsversprechen der Politik sind zahlreich. Doch schnell geht es hier nur noch um Wachstumsraten, Steuerquoten und andere Kennzahlen.
Um diese Zahlen zu verstehen und die wirtschaftlichen Argumente richtig einordnen zu können, sind Wissen über ökonomische Zusammenhänge und institutionelle Strukturen notwendige Voraussetzung.Nur wenn man sich selbst in dieser Gemengelage richtig verorten kann, kann man auch als Wähler*in eine durchdachte Entscheidung treffen. Dafür sollte man Fragen, wie die folgenden, richtig beantworten können:
Ist mein Einkommen oder das meiner Eltern im Vergleich zum Rest der Deutschen relativ hoch oder niedrig?
Finde ich die Verteilung der Steuerlast in Deutschland gerecht?
Wie viele Menschen haben keinen Arbeitsplatz und welche Instrumente gibt es, um ihren Lebensunterhalt zu sichern?
Wissenschaftler*innen haben herausgefunden, dass gerade ökonomisches Wissen bei den Deutschen Mangelware ist. In einer groß angelegten Umfrage von Altmann et al. (2018) konnten nur ein Drittel der Befragten ein zufriedenstellendes Ergebnis erzielen. Zudem wurden systematische Unterschiede in der ökonomischen Bildung zwischen Frauen und Männern, jungen und alten Personen sowie reichen und ärmeren Personen beobachtet. Dies hat Rückwirkung auf den politischen Prozess und die Ausgestaltung der Institutionen, die jeden Einzelnen betreffen. Die Frage nach einem gerechten Steuersystem lässt sich schwer beantworten, ohne die Verteilung und seine eigene Position darin zu kennen. Die ökonomische Unwissenheit und Fehleinschätzung der wirtschaftlichen Situation kann sogar zu Misstrauen gegenüber dem bestehenden politischen System als Ganzem führen. Eine Studie von Diermeier und Niehues (2019) findet zum Beispiel einen Zusammenhang von Überschätzung der Arbeitslosigkeit und der Ablehnung von Demokratie sowie supranationaler Organisationen. Auch neigen laut der Studie diejenigen, die die
Arbeitslosigkeit besonders überschätzen, zu rechtspopulistischem Wahlverhalten.
Mögliche Fragestellungen:
- Welche Fakten und Zusammenhänge sollte jede:r Bürger:in in Deutschland kennen?
- Wie kann dieses Wissen verbreitet werden?
- Wie also kann ökonomische Bildung attraktiv gestaltet werden?
Must-Read Literatur
(wird zur Verfügung gestellt)
Diermeier, M., & Niehues, J. (2019). Einschätzungen zur Arbeitslosigkeit: Unwissen befördert systemisches Misstrauen. IW-Trends-Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung, 46(2), 23-42.
Altmann, S., Falk, A. & Radbruch, J. (2018). Was wissen Sie über die Wirtschaft? Umfrage in Kooperation mit der Zeit. Die Zeit, 1.Februar 2018. Niehues, J. (2019).
Subjektive Umverteilungspräferenzen in Deutschland: Wunsch und Wirklichkeit. IW-Trends-Vierteljahresschrift zur empirischen Wirtschaftsforschung, 46(1), 79-98.
Weiterführende Literatur
Retzmann, T., & Seeber, G. (2022). Ökonomische Bildung in der Schule als Politikum–zur Geschichte und Situation einer umstrittenen Selbstverständlichkeit. Perspektiven der Wirtschaftspolitik, 23(2), 81-93.
Weyland, M., Brahm, T., Kärner, T., & Iberer, U. (2022). Ökonomische Bildung und ökonomisches Denken–eine Einordnung. Ökonomisches Denken lehren und lernen. Theoretische, empirische und praxisbezogene Perspektiven, 7-23.
Das Thema wird betreut von
Ann-Kristin Becker
Ann-Kristin Becker ist seit Sommer 2021 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Wirtschaftspolitik an der Universität zu Köln beschäftigt und seit September 2024 Gastwissenschaftlerin am Centre for Economic Performance an der London School of Economics. Sie hat einen B.Sc. in Mathematik von der Universität Lübeck und einen M.Sc. in Wirtschaftswissenschaften von der Universität zu Köln. Ann-Kristin Becker sammelte Erfahrungen als Carlo-Schmid-Stipendiatin und als Consultant beim United Nations High Comissioner for Refugees (UNHCR) in Genf. In ihrer Forschung setzt sich Ann-Kristin Becker mit den ökonomischen Auswirkungen von Industrialisierung und Ressourcenabbau auseinander sowie mit den langfristigen Auswirkungen von Migration auf wirtschaftliche Zusammenarbeit. Außerdem forscht Ann-Kristin Becker im Bereich Klimapolitik.
Ina Sieberichs
Ina Sieberichs ist seit 2022 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Wirtschaftspolitik beschäftigt.
Sie forscht schwerpunktmäßig im Bereich der durch die Pandemie veränderten Herausforderungen der Staatsverschuldung, Inflation und Geldpolitik sowie zu Entwicklungsökonomik.
Nach ihrem Bachelorstudium in Politik und Wirtschaft (B.A.) an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und der Universidad de Granada in Spanien absolvierte sie ihren Masterstudiengang Economics (M.Sc.) an der Universität zu Köln sowie an der Tel Aviv University in Israel. Inhaltlich lagen ihre Schwerpunkte in den Bereichen „Statistik und Ökonometrie” und „Wachstum, Arbeitsmärkte und Ungleichheit in der globalen Wirtschaft”. Sie sammelte praktische Erfahrung unter anderem als Praktikantin bei der Deutschen Auslandshandelskammer in Lima, Peru, und bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit in Bonn und arbeitete in der volkswirtschaftlichen Grundsatzabteilung im Bundesministerium der Finanzen.