Wer pflegt uns, wenn wir alt sind? –
Herausforderungen und Lösungen zum Fachkräftemangel in der Pflege
von Juliane Theiß und Walli Hoffmann,
Universität Leipzig
57.000 offene Stellen und eine Fachkräftelücke (Differenz zwischen offenen Stellen und Arbeitslosen) von 35.000 Personen in Gesundheits- und Pflegeberufen belegen unmissverständlich, dass sich in Deutschland eine verheerende Entwicklung zur Versorgung alter und pflegebedürftiger Menschen abzeichnet. [1] Diese Situation herrscht nicht erst seit der Corona-Pandemie, ist aber seither verstärkt in den Blickpunkt geraten.
Neben dem demografischen Wandel und der zunehmenden Akademisierung konzentrieren sich die Ursachen vor allem auf die mangelhafte Attraktivität der Pflegeberufe. Die Entlohnung ist zu gering, auf eine Pflegekraft kommen zu viele Patienten und Patientinnen und die Schichtarbeit sowie die körperliche Tätigkeit strapazieren die Gesundheit der Mitarbeitenden. Im Pflegeberuf kommt es häufig zu Kündigungen und fachfremden Jobwechseln nach einigen Jahren der Erwerbstätigkeit in der Pflege.
Erste Initiativen zur Vermeidung der Fluktuation sowie zur Erleichterung der Arbeit für bestehendes Personal und somit zur Erhöhung der Arbeitszufriedenheit sind bereits gestartet. Verbesserungen in der Arbeitssituation wünschen sich die Mitarbeitenden u.a. in den Bereichen der Entlohnung, Mitsprache, dem Gesundheitsmanagement, der Digitalisierung von Dokumenten und auch der technischen Unterstützung.[2] Hier könnten beispielsweise Roboter zur physischen Unterstützung der Pflegekräfte, mittels Transport- oder Heberobotern, einen Mehrwert bringen.[3] Inwiefern eine Arbeitszeiterhöhung als Lösung in Pflegeberufen in Frage kommt, ist zu diskutieren.[4] Um auch zukünftig Fachpersonal zu bekommen, ist seit dem 1. Januar 2020 die Pflegeausbildung umstrukturiert, generalistischer gestaltet sowie um die Möglichkeit eines Pflegestudiums ergänzt worden, um den Pflegeberuf auch für Abiturienten und Abiturientinnen attraktiv zu machen.[5] Mittels der Initiative „Triple Win“ sollen Pflegefachkräfte aus dem Ausland gewonnen werden und die Anerkennung ausländischer Bildungsabschlüsse soll vereinfacht werden.[6]
Doch genügt das alles? Es ist Zeit, uns gemeinsam mit der Frage zu beschäftigen: Wer pflegt uns, wenn wir alt sind?
Mögliche Fragestellungen:
Zunächst einmal sollte es darum gehen, sich die Situation im Pflege- und Gesundheitsbereich bewusst zu machen, d.h. im ersten Schritt zu fragen „Warum liegt ein Fachkräftemangel vor“? Hierfür gibt es verschiedene Ansatzpunkte, bspw. den demografischen Wandel, die schlechten Arbeitsbedingungen sowie die zunehmende Akademisierung.
Im 2. Schritt geht es um die Frage: „Was passiert, wenn wir keine Lösung finden?“
Im 3. Schritt werden – ggf. basierend auf Befragungen im Pflegebereich – Lösungen entwickelt. Die Frage „Welche Institutionen, Technologien oder Innovationen können eine Lösung bieten?“ steht im Vordergrund. Dabei können Lösungen sowohl auf politischer Ebene (Bund, Land und Kommune), in der Wissenschaft sowie bei Arbeitgebenden gedacht werden.
[1] Vgl. Seyda et al. (2021), S. 1 ff.
[2] Vgl. Seyda et al. (2021), S. 6.
[3] Vgl. Radic / Vosen (2020), S. 630.
[4] Vgl. Onderka (01.08.2022).
[5] Vgl. Bundesministerium für Familie, Senioren, Frau und Jugend (2022), veröffentlicht im Internet (05.10.2022).
[6] Vgl. Bundesagentur für Arbeit (2022), veröffentlicht im Internet (04.10.2022).
Must-Read Literatur
BOSCHER, C. et al. (2021): Einsatz und Erfolg gesundheitsbezogener Maßnahmen zur Personalbindung in der Pflege: Ergebnisse einer schriftlichen Befragung von Führungskräften aus der Region Bodensee-Oberschwaben. In: Das Gesundheitswesen 8-09, S. 611–618
https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/html/10.1055/a-1173-9555
Weiterführende Literatur
Bundesagentur für Arbeit (2022): Triple Win Pflegekräfte – Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV). https://www.arbeitsagentur.de/vor-ort/zav/uber-triple-win/triple-win-das-projekt, 04.10.2022.
Bundesministerium für Familie, Senioren, Frau und Jugend (2022): Voraussetzungen und Struktur: Pflegeausbildung. https://www.pflegeausbildung.net/alles-zur-ausbildung/voraussetzungen-und-struktur.html, 05.10.2022.
Onderka, L. (01.08.2022): Arbeitszeiterhöhung als Lösung für den Fachkräftemangel? In: Personalwirtschaft.
Radic, M. / Vosen, A. (2020): Ethische, rechtliche und soziale Anforderungen an Assistenzroboter in der Pflege : Sicht des Führungspersonals in Kliniken und Pflegeeinrichtungen. In: Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie 7, S. 630–636.
Seyda, S. et al. (2021): Pflegeberufe besonders vom Fachkräftemangel betroffen. In: Seyda Gutachten, S. 1–6.
Evans, M. (2018): Wege zur „inneren Aufwertung“ der Arbeit in der Altenpflege: Wie können Gestaltungskapazitäten der Betriebs-und Sozialpartner gestärkt werden? In: Public Health Forum 1, S. 1–22.
Kriegel, J. / Hummer, C. (2022): Fachkräftemangel: Pflegelogistik als Stellhebel. In: Klinik Einkauf 01, S. 45–47.
Watzka, K. (2018): Fachkräftemangel in der Pflege: Kritische Situationsbewertung und Skizzierung einer Handlungsalternative.
Das Thema wird betreut von
Walli Hoffmann
Walli Hoffmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur für BWL, insbes. Dienstleistungsmanagement. Aktuell schreibt sie an ihrer Dissertation zum Thema Telemedizin in der Veterinärmedizin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind (digitale) Gesundheitsdienstleistungen und Innovationsmanagement.
Juliane Theiß
Juliane Theiß ist Dozentin / Academic Lecturer an der IU in Leipzig und Gastwissenschaftlerin an der Universität Leipzig. Aktuell schreibt sie ihre Promotion zum Einfluss von Kultur auf psychologische Verträge. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich People & Culture, Diversity Awareness, New Work und Livelong Learning.