Zehn Jahre nach Nainas Tweet – Wie können Inhalte zu Steuern, Miete oder Versicherungen zielgruppengerecht angeboten werden?
von Sebastian Heidel und Elisa Wagner,
Universität Leipzig
Knapp zehn Jahre nach dem Tweet von „Naina“ auf Twitter, in dem die damals 18-jährige Schülerin zum Ausdruck brachte, dass sie zum Abschluss ihrer Schulzeit keine Ahnung von Steuern, Miete und Versicherungen hat, sind systematische und flächendeckende formelle Lernangebote zu finanziellen Inhalten in Schulen immer noch eine Seltenheit (Arrondel et al., 2022; Marx, 2015).
Finanzielles Wissen ist die Grundlage für fundiertes finanzielles Handeln (Aprea & Wuttke, 2016). Ein höheres individuelles Niveau finanziellen Wissens trägt dazu bei, dass Menschen ausgewogenere finanzielle Entscheidungen treffen (d.h. unter andrem wissensbasiert entscheiden zu können, welche Versicherungen notwendig sind, welche Leistungen notwendig sind und preislich zu vergleichen; was bei Mietverträgen zu beachten ist und welche Steuern zu zahlen sind) und somit ein höheres finanzielles Wohlbefinden erreichen. Zudem ist finanzielles Wissen eine elementare Wissensfacette für einen mündigen Wirtschaftsbürger, der aktiv zum Erhalt der Demokratie beiträgt (Aprea et al., 2016). Darüber hinaus unterstützt ein höheres individuelles Niveau finanziellen Wissens durch bewusstere finanzielle Entscheidungen Einzelner die gesamtwirtschaftliche Stabilität (Lusardi & Mitchell, 2014).
Hinsichtlich des Niveaus des finanziellen Wissens von jungen Menschen in Deutschland zeigt sich ein durchschnittliches Bild (Bucher-Koenen & Knebel, 2021). Junge Menschen sind in Deutschland trotz jüngerer politischer Initiativen (BMF, BMBF, 2023) vorwiegend auf informelle Lerngelegenheiten (bspw. auf Eltern (siehe hierzu Heidel, Schmidt, Moschner, 2023) angewiesen, um finanzielles Wissen zu erwerben. Der Lernerfolg ist in vielen von den Jugendlichen wenig beeinflussbaren Faktoren wie sozio-ökonomischen Hintergrund oder Migrationshintergrund abhängig. In anderen Ländern wie den USA, Südafrika und Kenia existieren seit bestimmter Zeit niedrigschwellige Angebote wie TV-Serienformate zum Erwerb finanziellen Wissens insbesondere für vulnerable Gruppen (Migrationshintergrund, schwächeres sozio-ökonomisches Umfeld) (Berg & Zia, 2017). Diese Formate zeigen einen positiven Einfluss auf das finanzielle Wissen, der angesprochenen Zielgruppen (Berg & Zia, 2017). Ein ähnliches Format liegt in Deutschland aktuell noch nicht vor.
Mögliche Fragestellungen:
In Anlehnung an die Aussage von Naina als einem Ruf nach finanziellen Bildungsangeboten und dem Artikel von Berg und Zia (2017) zur Effektivität von Videoformaten zur Verbesserung des finanziellen Wissens, soll ein Videoformat („soap opera-Format“ (Berg & Zia, 2017) entworfen werden, in dem zielgruppenspezifische finanzielle Aspekte lebensnah adressiert und Lernmöglichkeiten generiert werden.
Die Kernprobleme liegen:
- in der Identifizierung von typischen Situationen, in denen Jugendliche finanzielles Wissen benötigen, kompetent handeln zu können,
- in der Entwicklung didaktisch, sinnvoll strukturierter Storylines, die an die Lebensrealität der Jugendlichen anknüpfen und zielgruppengerecht zu adressieren und
- in der medialen und technischen Umsetzung bei der Entwicklung der Episoden (mglw.Einsatz von KI als Unterstützung bei der Videoerstellung)
Must-Read Literatur
Berg, G., & Zia, B. (2017). Harnessing emotional connections to improve financial decisions: Evaluating the impact of financial education in mainstream media. Journal of the European Economic Association, 15(5), 1025–1055 – Abrufbar unter folgendem Link: https://academic.oup.com/jeea/article/15/5/1025/2995881
Bucher-Koenen, T., & Knebel, C. (2021). Finanzwissen und Finanzbildung in Deutschland–Was wissen wir eigentlich?. Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung, (1), 11–32. Abrufbar unter folgendem Link: https://www.zew.de/publikationen/finanzwissen-und-finanzbildung-in-deutschland-was-wissen-wir-eigentlich
Weiterführende Literatur
Aprea, C., & Wuttke, E. (2016). Financial literacy of adolescents and young adults: Setting the course for a competence-oriented assessment instrument. International handbook of financial literacy (S. 397–414).
Aprea, C., Wuttke, E., Breuer, K., Koh, N. K., Davies, P., Greimel-Fuhrmann, B., & Lopus, J. S. (2016). Financial literacy in the twenty-first century: An introduction to the International Handbook of Financial Literacy. International handbook of financial literacy (S. 1-4).
Arrondel, L., Haupt, M., Mancebón, M. J., Nicolini, G., Wälti, M., & Wiersma, J. (2021). Financial literacy and financial education in Western Europe. In The Routledge Handbook of Financial Literacy (S.363–381). Routledge.
Berg, G., & Zia, B. (2017). Harnessing emotional connections to improve financial decisions: Evaluating the impact of financial education in mainstream media. Journal of the European Economic Association, 15(5), 1025–1055.
Bucher-Koenen, T., & Knebel, C. (2021). Finanzwissen und Finanzbildung in Deutschland–Was wissen wir eigentlich?. Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung, (1), 11–32.
Bundesministerium der Finanzen & Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMF & BMBF) (2023). Finanzielle Bildung zahlt sich aus. https://www.mitgeldundverstand.de/fibi/DE/Home/home.html
Happ, R., & Förster, M. (2019). The relationship between migration background and knowledge and understanding of personal finance of young adults in Germany. International Review of Economics Education, 30, 100141.
Heidel, S., Schmidt, J., & Moschner, U. (2023). Informelle Lerngelegenheiten für den Erwerb ökonomischen und finanziellen Wissens bei jungen Erwachsenen ohne wirtschaftswissenschaftliche Vorkenntnisse in Deutschland – die (besondere) Rolle der Eltern. bwp@ Profil, 8, 1–21.
Lusardi A., & Mitchell O. S. (2014). The economic importance of financial literacy: Theory and evidence. Journal of Economic Literature, 52(1), 5–44. DOI: 10.1257/jel.52.1.5
Marx, A. (2015). Ökonomische Bildung an allgemeinbildenden Schulen in Deutschland. Bestandsaufnahme und Bewertung der ministeriellen Vorgaben. Berlin
Das Thema wird betreut von
Sebastian Heidel
Sebastian Heidel arbeitet am Institut für Wirtschaftspädagogik der Universität Leipzig und promoviert im Bereich der Finanziellen Bildung. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf die Identifikation von möglichen Herausforderungen von jungen Erwachsenen mit Migrationshintergrund zu Inhalten finanzieller Bildung (Zinsen, Versicherungen, Steuern, etc.)
Elisa Wagner
Elisa Wagner absolvierte 2018 bis 2023 ihr Studium der Wirtschaftspädagogik in Leipzig. Nachdem Sie parallel dazu als Hilfskraft an der Universität beschäftigt war, entschied sie sich, auch nach ihrem Studium weiter in der Wissenschaft tätig zu sein. Sie wurde 2024 im Rahmen des PreDoc-Awards der Universität Leipzig bei ihrer Promotionsvorbereitung unterstützt. Elisa Wagner arbeitet am Institut für Wirtschaftspädagogik der Universität Leipzig und forscht im Bereich der finanziellen Bildung. Sie wird in einem Projekt zur finanziellen Bildung tätig sein und auch in diesem Bereich promovieren.