Auf eigenen Beinen stehen – Wie kann ökonomische Unabhängigkeit für alle Geschlechter besser gelingen?
von Prof. Dr. Miriam Beblo und Dennis Becker, Universität Hamburg
Wirtschaftliche Unabhängigkeit und eigenständige wirtschaftliche Sicherung im Lebensverlauf sind erklärte Ziele der Gleichstellungsstrategien der Europäischen Kommission und des deutschen Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Wie die Forschung u.a. von der diesjährigen Nobelpreisträgerin Claudia Goldin zeigt, unterscheiden sich die ökonomischen Bedingungen zwischen Frauen und Männern aber weiterhin stark: Trotz guter Ausbildungen erhalten Frauen geringere Löhne (Gender Pay Gap) und sind im Lebensverlauf weniger erwerbstätig, so dass sie viel seltener ein Einkommen erzielen, das ihre Existenz nachhaltig sichert. Stattdessen übernehmen sie häufiger die unbezahlte Sorgearbeit (Kinder, Küche, Krankenbett) und sind finanziell abhängig von ihren erwerbstätigen (Ehe-)Männern. (Bei gleichgeschlechtlichen Paaren wird solch eine Arbeitsteilung seltener beobachtet.)
Das Lebensmodell erscheint kurzfristig sinnvoll für beide Seiten, kann sich aber im Falle einer Trennung sehr ungünstig zu Lasten der finanziell abhängigen Person auswirken, die – weil sie sich der Familie und Sorgearbeit gewidmet hat – nicht wieder so gut im Beruf Fuß fassen kann wie der Partner. Trotz dieser offensichtlichen Nachteile für eine Seite wählen junge Frauen (und Männer) auch heutzutage immer wieder dieses Modell. Das ist besonders verwunderlich, weil sie in Befragungen vor der Familiengründung mehrheitlich eine egalitäre, also gleichmäßigere, Arbeitsteilung und ökonomische Eigenständigkeit anstreben. Während der Einfluss von staatlichen Rahmenbedingungen (wie Steuersystem, öffentliche Kitas) auf die BESTEHENDE geschlechtsspezifische Arbeitsteilung schon viel beforscht wurde, ist dieser Widerspruch bei ihrer ENTSTEHUNG noch ungeklärt.
Mögliche Fragestellungen:
- Wieso unterscheiden sich die Wünsche/Erwartungen von jungen Menschen bezüglich Arbeitsteilung von ihren späteren Entscheidungen?
- Warum gehen gerade Frauen ein so großes Risiko ein, wenn es um die Arbeitsteilung im Paar und die ökonomische Abhängigkeit vom Partner geht?
- Welche Rolle spielen dabei Informationen über die Konsequenzen des eigenen Handelns sowie (Fehl-)Einschätzungen der Zukunft und des sozialen Drucks?
- Wie lassen sich diese möglichen Ursachen beheben?
Must-Read Literatur
Zum Forschungsstand zur geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung siehe Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2021): Neunter Familienbericht. Eltern sein in Deutschland, **Kapitel 8.1, S. 376-389**, online verfügbar unter <https://www.bmfsfj.de/resource/blob/179392/195baf88f8c3ac7134347d2e19f1cdc0/neunter-familienbericht-bundestagsdrucksache-data.pdf>.
Die langfristigen Folgen von Entscheidungen im Paarkontext werden in diesem Beitrag erklärt: Beblo & Boll (2014): Ökonomische Analysen des Paarverhaltens aus der Lebensverlaufsperspektive und politische Implikationen. Vierteljahrshefte zur Wirtschaftsforschung 1/2014, S. 121-144, online verfügbar unter <https://elibrary.duncker-humblot.com/article/5708/download>.
Weiterführende Literatur
Comicseiten zum „Armutsrisiko Scheidung“ (S. 111), „Geld in der Partnerschaft“ (S. 109), Gender Pay Gap („Lücken“, S. 47), „Steuerklasse“ (S. 113) und vieles mehr auf moneymatters.art: <https://www.moneymatters.art/_files/ugd/2b6f71_4667db36d0c3456db16ed3673beb9b32.pdf?index=true>
Comic zum Ehegattensplitting: <https://www.moneymatters.art/_files/ugd/2b6f71_dcc0d5c0e3b84eeebfad15b1e39b712e.pdf>
Und wer gleich ganz tief in die Forschung einsteigen will, hier ein wirklich gutes Papier zum gefühlten sozialen Druck und was er bei der Geschlechtergleichstellung bewirken kann: Bursztyn, Leonardo, Alessandra L. González, and David Yanagizawa-Drott. 2020. „Misperceived Social Norms: Women Working Outside the Home in Saudi Arabia.“ American Economic Review, 110 (10): 2997-3029. <https://www.aeaweb.org/articles?id=10.1257/aer.20180975>
Das Thema wird betreut von
Miriam Beblo
Miriam Beblo ist Professorin der Volkswirtschaftslehre am Fachbereich Sozialökonomie der Universität Hamburg. Als angewandte Mikroökonomin forscht sie zu den Themen Arbeit, Familie, Gender & Migration – v.a. ökonometrisch und experimentell. Sie hat an vielen Stellen ihrer beruflichen Laufbahn Erfahrung mit wissenschaftsbasierter Politikberatung gesammelt. Neben dem Forschungs-Praxis-Transfer engagiert sie sich in verschiedenen Gremien der Nachwuchs- und Forschungsförderung.
Dennis Becker
Dennis Becker ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand an der Professur von Miriam Beblo an der Universität Hamburg. Zuvor studierte er eine Kombination aus Volkswirtschaftslehre und Soziologie. In seiner Doktorarbeit untersucht er verschiedene Zusammenhänge von Bildung und Gender. In weiteren Forschungsarbeiten beschäftigt er sich mit dem Einfluss von staatlichen Leistungen auf die Gleichstellung innerhalb von Familien.