Seegras für den Klimaschutz

von Dr. Wilfried Rickels, Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW Kiel)

Seegraswiesen gehören zu den wertvollsten und produktivsten Lebensräumen des Meeres. Sie schützen die Küsten, indem sie Wellen ausbremsen und den sandigen Untergrund mit ihren Wurzeln festhalten. Sie bieten Abertausenden Jungfischen, Muscheln, Krebsen und anderen Tieren Schutz und Nahrung und stärken auf diese Weise die Artenvielfalt des Meeres. Entsprechend tragen sie dazu bei, dass Millionen Menschen rund um den Globus genügend Fisch und Meeresfrüchte zu essen haben. Seegraswiesen und möglicherweise ihr zugehöriges Mikrobiom reinigen zudem das Meerwasser von Dreck und Krankheitserregern und nehmen große Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid auf. Dessen Kohlenstoffanteil speichern sie vor allem in ihren Wurzeln und leisten somit einen elementaren Beitrag zur Begrenzung der globalen Erwärmung.

Weil Seegräser Photosynthese betreiben müssen, benötigen sie ausreichend Tageslicht, Kohlendioxid und Nährstoffe, um zu wachsen und dichte, gesunde Unterwasser-Wiesen zu bilden. Tageslicht, welches bekanntermaßen von oben in das Meer fällt, wird jedoch mit zunehmender Wassertiefe weniger. Ist das Meer zudem noch eingetrübt, weil viele Algen oder aber Sedimentpartikel in der Wassersäule treiben, wirken diese wie ein Sonnenschirm und lassen noch weniger Licht in die Tiefe. Seegräser wachsen aus diesen beiden Gründen nur in flachen Küstenbereichen mit möglichst klarem Meer- oder Brackwasser – meist in Lagunen, ruhigen Meeresbuchten oder aber auch in Flussmündungsgebieten rund um den Globus. Im zurückliegenden Jahrhundert hat die Erde mindestens 30 Prozent ihrer Seegraswiesen verloren, wobei von den 65 bekannten Seegras-Arten 22 akut vom Rückgang betroffen sind. Allein in Europa nahm die Gesamtfläche der Seegraswiesen im Zeitraum von 1869 bis 2016 um fast 35700 Hektar ab. Dieser Verlust entspricht in etwa einem Gebiet halb so groß wie Hamburg. Seitdem erholen sich aber einige der europäischen Unterwasser-Wiesen auch wieder.

Global betrachtet, schrumpfen die Seegras-Bestände derzeit um 7 Prozent pro Jahr. Gründe für das Sterben der Seegräser waren und sind in erster Linie ein Übermaß an Nährstoffen, die weitverbreitete Bebauung und zunehmende Nutzung der Küstengebiete durch den Menschen sowie Temperaturrückkopplungen durch den Klimawandel. Meeresbiologinnen und Meeresbiologen vergleichen den Verlust der Seegräser häufig mit dem Verlust von Bäumen in einem Wald. Es gehen nämlich nicht nur die Pflanzen selbst verloren, sondern mit ihnen alle überlebenswichtigen Funktionen und Leistungen, die der Lebensraum Seegraswiese für die Lebensgemeinschaften des Meeres und der Küstenregion sowie für den Menschen erbringt. Aus diesem Grund muss ihr Rückgang nicht nur gestoppt, sondern idealerweise sogar umgekehrt werden. Voraussetzung dafür ist zuallererst, dass die maßgeblichen lokalen Stressfaktoren wie Überdüngung, Küstenbebauung und Fischerei reduziert werden. Gelingt dieser schwierige erste Schritt, haben nicht nur die verbliebenen Seegräser die Chance, sich zu erholen und im Laufe der Jahrzehnte zu gewohnter Wiesengröße heranzuwachsen. Es kann ab diesem Zeitpunkt auch über eine gezielte Wiederherstellung der Unterwasserwiesen nachgedacht werden.

Must-Read Literatur

https://www.seegraswiesen.de/de/

Forschungsmission der Deutschen Allianz Meeresforschung (DAM),»Marine Kohlenstoffspeicher als Weg zur Dekarbonisierung«

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Dr. Wilfried Rickels, IfW

Dr. Wilfried Rickels leitet den Forschungsbereich „Umwelt und natürliche Ressourcen“ am Institut für Weltwirtschaft. Er untersucht wie die nachhaltige Nutzung des Ozeans insbesondere im Kontext der globalen Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals) gemessen werden kann und welche Rolle und Bedeutung negative CO2 Emissionstechnologien sowie Strahlungsmanagement (Solar Radiation Management) für den (optimalen) Klimaschutz haben.